Fakten:

Jedes Jahr haben ca. 4,5 Million Menschen in unserem Land ein traumatisches Erlebnis.

  • 1% sind Großschadensereignisse wie z.B. Flugzeug-, Bahn- oder Busunglücke
  • 64 % sind Verkehrsunfälle
  • 25 % sind Straftaten
  • 10 % sind Arbeitsunfälle.

Die oben erwähnten traumatischen Erfahrungen übersteigen den Rahmen von alltäglichen Erfahrungen die Menschen normalerweise machen. Dies bedeutet eine extreme Verletzung der körperlichen und seelischen Integrität der Betroffenen. Traumatische Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren und beeinträchtigen die Betroffenen nachhaltig. Dies beeinflusst die

  • gesamte zukünftige Lebenssituation
  • das Gefühle von Sicherheit und Geborgenheit in der Welt
  • das Verhältnis zum eigenen Körper
  • das Gefühl von Unverletzlichkeit
  • die Beziehung zu sich selbst
  • das Vertrauen in sich selbst
  • das Gefühl von Handlungsfähigkeit und Kontrolle
  • das Gefühl von zwischenmenschlicher Beziehung
  • das Gefühl der Zugehörigkeit zu anderen Menschen.

Wenn solche „seelischen Verletzungen“ den Verhältnissen entsprechend nicht verarbeitet werden, können die nur teilweise verheilten Wunden jederzeit oder durch neue seelische Turbulenzen wieder aufbrechen. Die Folgen können dann die Entwicklung von Posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, Süchten, somatischen oder psychosoziale Störungen sein, welche die Ausgangsstörung verstärken und in einem Teufelskreis von seelischer Instabilität enden.

Die wichtigste Aufgabe der Notfallpsychologie ist die Vermeidung von Spät- und Langzeitfolgen, der Chronifizierung der Symptome und die Prävention von Persönlichkeitsveränderungen. Hier wird unterschieden zwischen psychologischer Notfallhilfe auch Krisenintervention genannt (zeitnah, vor Ort) und der psychotherapeutischen akuten Traumatherapie (zwei Tage bis einige Wochen nach dem Trauma). In beiden Fällen geht es um:

  • Stressreduktion
  • Symptommilderung und/oder -aufarbeitung
  • Stabilisierung bei Schmerz, Schock und Angst
  • Stärkung der Ressourcen
  • Unterstützung des Verarbeitungsprozesses
  • Identifikation von Risikofaktoren zur Vermeidung einer PTBS.

Die psychologische Krisenintervention / Notfallpsychologie bietet verschiedene Hilfestellungen und Möglichkeiten, um den Betroffenen zu unterstützen das traumatische Erlebnis zu verarbeiten.

BEGRIFFSDEFINITION TRAUMA

Der Begriff Trauma (Plural: „Traumata“) stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Wunde, Verletzung“.

Ein Trauma begreift sich als ein Ereignis und als eine Reaktion. Ein traumatisches Ereignis ist gekennzeichnet durch eine aktuelle oder angedrohte ernsthafte Verletzung oder Tod. Beispiele von traumatischen Ereignissen sind Kriegserlebnisse, sexuelle Übergriffe und Missbrauch, interpersonelle körperliche Angriffe, natürliche und von Menschen verursachte Katastrophen, Angriffe von Terroristen und Verkehrsunfälle (APA, 2000). Diese Differenzierungen von verschiedenen Arten von Traumata betreffen Kinder- und Jugendliche genauso wie Erwachsene.

Ein Trauma ist nicht nur ein Ereignis, denn darüber hinaus kann ein Trauma auch eine Reaktion sein. Die Reaktion einer Person auf ein traumatisches Ereignis beinhaltet intensive

Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit, Schrecken, Schuld und Scham. Die individuelle gefühlsmäßige Reaktion und subjektive Bewertung der Situation sind ein integraler Teil der Definition eines Traumas. Des Weiteren werden auch Ereignisse als traumatisch bezeichnet, bei denen Personen Zeugen von schweren Unfällen sind oder wenn jemand vom gewaltsamen Tod eines Freundes oder Familienmitgliedes erfährt (APA, 2000).

Bei einem traumatischen Erlebnis wird der/die Betroffene von einer Flut negativer Einflüsse überwältigt und hat keine Kontrolle mehr über das, was passiert. Der Betroffene kann sich der Situation nicht entziehen und erlebt sich als hilf- und schutzlos, ohnmächtig einer bedrohlichen Übermacht ausgeliefert.

Die Definition von einem Trauma nach Fischer-Riedesser (1999) lautet: Extreme Ohnmachtserfahrung, Erleben einer „subjektiv ausweglose Situation“.

Ein traumatisierender Stresszustand entsteht, wenn die Ressourcen und Bewältigungsstrategien nicht ausreichen, um mit einer äußeren Anforderung fertig zu werden – also durch eine Überforderung der Ressourcenlage. Der Betroffene verspürt eine Diskrepanz zwischen der bedrohlichen Situation und seinen eigenen Bewältigungsmöglichkeiten und gerät extrem unter Stress.

„Traumata haben Folgen. Sie hinterlassen Eindrücke im Leibgedächtnis, erregende und bedrückende Erinnerungen, die so stark sein können, dass noch nach Jahrzehnten das „kalte Grausen“ aufkommt, wenn man an die Szenen des Entsetzens denkt, für die es „keine Worte gibt“ und die man „nie wieder vergessen kann.“ (Petzold, 2004).

TRAUMAVERARBEITUNG

Viele Situationen können traumatisch sein – sie können und werden aber auch von vielen Betroffenen als „belastende Lebensereignisse“ verarbeitet, mit geringfügigen Beeinträchtigungen oder gar ohne Krankheitsfolgen. „Damit ein Ereignis zum Trauma für einen Menschen werden kann, muss eine Dynamik in Gang kommen, die das Gehirn des Betroffenen buchstäblich „in die Klemme bringt“ und es geradezu dazu nötigt, auf besondere Weise mit diesem Ereignis umzugehen“ (Huber, 2005, S. 38).

Die Biologie des Traumas
Das menschliche Notfallsystem hat das Ziel, den Menschen bei Gefahr möglichst schnell handlungsfähig (kampf- oder fluchtfähig) zu machen. Hat der in Gefahr geratene Mensch aber situationsbedingt keine Handlungsmöglichkeiten, führt das zu einer konstanten Stresserhöhung – ohne erlösende Aktion, und damit zur Überflutung mit aversiven Reizen.

Ein Mensch, der mit bedrohlichen Reizen („Alarm“) überflutet wird, aber weder kämpfen noch fliehen kann, steckt in der „Traumatischen Zange“: NO FIGHT, NO FLIGHT (Huber, 2005). Das entspricht auf der Ebene des subjektiven Erlebens dem Gewahr werden: „Da komme ich nicht mehr raus“, „das war´s“, „jetzt ist es aus“.

Ist weder Kampf noch Flucht möglich ist, kommt es in dem „hochgefahrenen“ Organismus zu einer Erstarrungsreaktion („FREEZE“). Schmerzbetäubende Botenstoffe werden ausgeschüttet und erlauben es dem Menschen „wegzutreten“, nichts mehr zu spüren, zu dissoziieren. Der Mensch tritt bei vermeintlicher oder tatsächlicher Todesnähe in einen veränderten Bewusstseinszustand ein. Er nimmt die bedrohliche Situation etwa „wie aus weiter Ferne“ wahr, so, „als ob es jemand anderem passiert“, „unwirklich“ (Derealisation, Depersonalisation).

Es kann zu einem „Zersplittern“ der Wahrnehmung kommen: das Ereignis wird nur noch fragmentiert wahrgenommen, nicht mehr zusammenhängend: Ein Schutzmechanismus der Natur in ausweglosen Situationen, welches sich FRAGMENT nennt. Kommt es zum FREEZE (und eventuell auch) FRAGMENT Erfahrungen, sprechen wir von einem Trauma.

Solche Extremstresserfahrungen haben eine nachhaltige Wirkung auf das Gehirn und es dauert „normalerweise“ zwischen einigen Tagen bis Wochen, bis das Nervensystem sich wieder reguliert hat. Der Mensch ist ein „geborener Traumaverarbeiter“ und sehr häufig überstehen wir Traumata unbeschadet. Manchmal gelingt diese Regulation jedoch nicht und es kommt es zu einer dauerhaften Störung der Stressverarbeitung: einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder gar einer durch Extremstress bedingten Persönlichkeitsveränderung.

Posttraumatische Informationsverarbeitung

Das Trauma hat Spuren im Gehirn hinterlassen, die Informationsverarbeitung läuft anders als vorher. Reize, die auf irgendeine assoziative Weise mit dem Trauma in Verbindung gebracht werden können, werden – auch wenn sie harmlos sind – von der Amygdala traumatisierter Menschen als hoch bedrohlich eingestuft. Wie bei der akuten Stressreaktion wird die Großhirnrinde in die weitere Informationsverarbeitung nicht mit einbezogen, es läuft das „Stressprogramm“ ab, ohne dass das Bewusstsein eingreifen kann. (Jedenfalls nicht auf direktem Weg!) Jedes Mal, wenn die Betroffenen mit einem „Trigger“ (auslösendem Reiz) in Kontakt kommen, kommt es erneut zu einer „Stresshormonkaskade“.

Beispiele: Kriegstraumatisierten Soldaten bricht bei Silvesterknallern der Schweiß aus, Rauch von einem Gartengrill löst bei Überlebenden eines Großbrandes Panikattacken aus, Überlebende der Anschläge vom 11. September bekommen Herzrasen beim Anblick eines tief fliegenden Flugzeugs, etc. Auf die Dauer verändern die ständigen Stresshormon-Ausschüttungen die Steuermechanismen der Stressverarbeitung – mit weitreichenden Folgen: Es entstehen dysfunktionale Stressverarbeitungsmuster, eine so genannte „Stressphysiologie“.

Physiologische Langzeitfolgen einer Traumatisierung
Bei einer „Stressphysiologie“ hat das Nervensystem die Fähigkeit, sich selbst zu regulieren, verloren. Medizinisch gesehen, ist die „Stresshormon-Achse“ (HPA-Achse) aus dem Lot geraten.

HPA-ACHSE (deutsch auch: HHN-Achse).

Hypothalamus (hormonelle Steuerzentrale im Gehirn), schüttet das „Releasing Hormon“ aus, das die Hypophyse anregt, wiederum das Steuerhormon ACTH zu produzieren.

Pituitary Gland“, Hypophyse. Hirnanhangdrüse. Produziert auf „Befehl“ des Hypothalamus „ACTH“, ein Steuerhormon, das in der Adrenal Gland, Nebenniere, zur Ausschüttung von Kortisol führt. Ist der Kortisolspiegel im Blut auf ein bestimmtes Level gestiegen, wird das von Rezeptoren im Hypothalamus festgestellt und die Kortisolproduktion wird gestoppt (Negativer Rückkopplungsmechanismus). Auf der Ebene des subjektiven Erlebens lässt dann der Stress nach, der Mensch „beruhigt sich“. In einem durch Trauma geschädigten Nervensystem sind die stressverarbeitenden hormonellen Regelkreise chronisch „hochgefahren“. Sie stehen auf „Daueralarm“ – mit der Folge, dass Kleinigkeiten wie Alltags-„Nervereien“, Gedränge in der überfüllten Straßenbahn etc. genügen, um ein subjektives Gefühl von Extremstress auszulösen.

Darum versuchen Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen möglichst, nicht nur spezielle traumaspezifische „Trigger“ (z.B. Autobahnfahren nach Unfalltrauma) zu vermeiden, sondern häufig auch jede Form äußerer Anforderungen. Die Stress-Schwelle ist so erniedrigt, die Stress-Toleranz so stark verringert, dass beruflicher Stress, Alltagsärger oder Beziehungsschwierigkeiten wie Extremstress empfunden werden.

Der negative Rückkopplungsmechanismus wird geschädigt, was anfangs zu einem zu hohen und langfristig zu einem zu niedrigen Kortisolspiegel im Blut führt. Insofern ist eine posttraumatische Störung eine STRESSVERARBEITUNGSSTÖRUNG, die so schwerwiegend sein kann, dass der normale Alltag nicht mehr zu bewältigen ist.

Es liegt eine Posttraumatische Belastungsstörung vor, wenn:

Fallbeispiele:

Obwohl das Erdbeben schon seit einigen Tagen vorbei ist, hat Lara immer noch das reale beängstigende Gefühl dass der Boden unter ihr sich wieder bewegt.

Denise ist das Opfer einer Vergewaltigung gewesen. Noch Wochen später empfindet sie das bedrohliche Gefühl, dass der Täter wieder in ihrer Nähe ist.

 In der Phase der Krise zeigen Betroffene die folgenden charakteristischen Symptome:

  • Ängste, Bedrohungsgefühle
  • Flashbacks
  • Schlafstörungen und Albträume
  • Vermeidungsverhalten
  • Depressionen
  • Aggressionen und Wut
  • Scham- und Schuldgefühle
  • Störungen des Essverhaltens
  • tatbezogene Zwänge
  • Somatoforme Störungen.

Sollten Sie solche oder ähnliche Symptome haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt zu einem Psychiater oder Psychologen auf.

Ihre Beate Landgraf